Montag, 25. April 2011

Erstkontakt S 1000 RR und F 800 R - der persönliche Test


Insektenfriedhof nach dem Test

Donnerstag, 22.04.2011, 17:15 Uhr. Wir fahren auf den Hof des Motorradzentrums Niederrhein. Als wir absteigen werden wir schon freundlich begrüßt und uns wird mitgeteilt, dass schon alles vorbereitet ist und wir nach einer kurzen Einweisung sofort losfahren könnten. Wunderbar! Neben der Maschine stehend und den Worten des Niederlassungsleiters folgend macht sich bei uns beiden ein Gefühl, aus einer Mischung von freudiger Erwartung und großem Respekt breit. 800 ccm, 87 PS bei der F 800 R und 1000 ccm, 193 PS stehen da vor uns und warten darauf auf die Landstraße ausgeführt zu werden. Die F 800 R ist schnell erklärt, am Umfangreichsten sind die Erläuterungen für die vielen Funktionen, die der Bordcomputer zur Verfügung stellt. Bei der S 1000 R sind es die Einstellungen der Fahrmodi, die den größten Zeitaufwand bedeuten. „Am besten lässt Du erst einmal auf Sport stehen, bis ihr euch angefreundet habt“, sagt der Niederlassungsleiter. Hmmm, denke ich, mental hatte ich mich schon auf den Rain-Modus für den Anfang eingestellt, aber lassen wir es mal bei Sport. Man wünscht uns viel Spaß für den Freitag und freue sich auf das Wiedersehen am Samstag.

Vom Service des Motorradzentrums Niederrhein bin ich schon einmal begeistert. Es ist exakt so service- und kundenorientiert, wie ich es von meinem BMW-Autohaus kenne und schätze. In den einschlägigen Foren liest man ja immer einmal wieder, dass BMW-Motorradhändler auf einem relativ hohen Ross säßen und auch dass man sich schon einmal durch lautere Unmutsäußerungen bemerkbar machen muss, damit sich das Verkaufspersonal die Mühe macht, sich zu einem zu bewegen, um mögliche Fragen zu beantworten. Eine ähnliche Reaktion habe ich im Vorfeld, bei der Auswahl des präferierten Händlers, an anderer Stelle dann auch persönlich machen müssen. Das ist dann definitiv nicht mein Händler, wenn ich ihn anmaile und um einen Termin für eine Angebotserstellung bitte und es kommt auch nach der zweiten Mail – diese vorsichtshalber einmal in Reintext verfasst, vielleicht landete die erste ja wegen HTML-Code im Spamfilter – keine Reaktion erfolgt. Ein Besuch in jenem Motorradhaus, dessen Namen ich hier nicht nennen möchte, verlief ähnlich aufschlussreich. Auch nach 30 minütigem Herumirren in der Verkaufshalle und regelmäßigem, längeren Verweilen an den höherpreisigen Produkten der Marke, fand sich niemand bemüßigt, mich einmal anzusprechen. Ganz anders eben das Motorradzentrum Niederrhein, das seinen Slogan „Freunde am Niederrhein“ offensichtlich nicht nur für Broschüren und den Webauftritt verwendet sondern auch lebt. Das ist angenehm.

Zurück zu den Maschinen. Ein Druck auf den Starter haucht dem leistungsstarken Vierzylinder unter mir Leben ein. Er schüttelt sich einmal, bellt heiser und grollt dann sonor vor sich hin. Wow, so langsam macht sich etwas mehr Adrenalin im Körper breit und das erste Grinsen ist auf Grund des Sounds auch schon ins Gesicht gemalt. Ähnlich der Twin nebenan. Die F 800 R klingt auch schon sehr nett, etwas heiser bellt sie in den nachmittäglichen Himmel und klingt schon aggressiver als ich es erwartet hätte. Blick zu Silvia, ein Nicken, es kann losgehen. Bedächtig drehe ich am Gashahn und kupple zaghaft ein. Langsam rolle ich vom Hof und auf die Landstraße, zunächst einmal die rund 20 km nach Hause. Dort angekommen müssen wir uns erst noch einmal die schönen Kräder in aller Ruhe anschauen und einige Funktionen checken. Dann geht es auf die erste Runde über die übliche Feierabendstrecke. Natürlich gehen wir es sehr vorsichtig an, haben aber auch so schon eine Menge Spaß. Nach einer guten Stunde sind wir wieder zurück und ich will eigentlich nicht absitzen – ich will weiterfahren und weiterfahren und weiterfahren... Schnell sind wir uns einig, dass diese beiden Moppeds gut zu uns passen. 

Diese Nacht träume ich von der RR. Ich schlafe unruhig und werde oft wach, so sehr freue ich mich auf unseren morgigen Tag. Recht früh stehen wir auf, haben aber leider noch ein paar Dinge zu regeln, bevor es dann endlich auf die Piste gehen kann. Da die Wetterprognose für Sauer- und Rheinland sowie Richtung Eifel eher mittelprächtig aussieht, entscheiden wir spontan um und planen stattdessen eine Runde durchs Münsterland. Nicht ganz das Testgebiet meiner Träume, weil die allermeisten Kurven  dort weite Radien haben, aber einige Passagen, in den Baumbergen z.B. haben auch etwas engeres Winkelwerk, dass die Überprüfung des Handlings der Maschinen erlauben. Die weiten Radien haben aber auch so ihre Vorzüge, denn sie bieten die Option höherer Kurvengeschwindigkeiten und somit ist das auch o.k. Es ist Karfreitag, die Straßen sind recht aufgeräumt und wir können durchaus am Kabel zupfen. Silvia bugsiert die mit einer breiten Lenkstange ausgestattete F 800 R mit einer ungewohnten Leichtigkeit, dass es eine Freude ist ihr zuzusehen. Dinge, die sie mit der Fazer oder ihrer Honda ungern macht, wie rangieren oder enges Wenden, am Lenkanschlag, gehen ihr mit der F wie von selbst von der Hand. Im Verlauf des Testtages ließen sich an der F nur zwei Kritikpunkte feststellen: bei Geschwindigkeiten über 100 km/h vibrieren die Spiegel so sehr, dass man genau gar nichts mehr darin erkennen kann und das Getriebe hat relativ lange Schaltwege, jedenfalls wenn man japanische Getriebe gewohnt ist. Wenn man dann die antrainierten kurzen Schaltwege auch bei der F anlegt, kann dies dazu führen, wie Silvia es erlebte, dass man z.B. zwischen dem 5. und 6. Gang irgendwo im Nirgendwo steckt. Besonders begeistert ist Silvia von der Dynamik des Motors, dem leichten Handling und der Ganganzeige im Display.

 Kann auch schön bollern, die F 800 R

Ich habe ordentlichen Respekt vor der bajuwarischen Rennsemmel, aber sie biedert sich mir immer mehr an. Sie säuselt in mein Ohr: „Streichle mich nicht, nimm mich härter ran, ich steh' nicht so auf Blümchensex.“ Das kann sie haben. Mit jedem km wächst das Vertrauen in dieses Werkzeug, das meine geplante Linie so exakt in den Asphalt fräst, wie eine CNC-Fräse präzise in butterweiches Aluminium fährt. Kaum dass man eine Linie vor dem geistigen Auge entworfen hat, durchzieht sie auch schon die Kurve äußerst genau und äußerst stabil. Du stellst eine Schräglage ein und die bleibt dann auch so, bis du einen anderen Befehl über den Lenkimpuls gibst. Bodenwellen oder unterschiedliche, wechselnde Fahrbahnbeläge stören sie dabei nicht, nur Bitumen können ihre Reifen nicht leiden. Leider habe ich nicht nachgeschaut, welche aufgezogen waren. Zwei, drei kleine Rutscher stelle ich also unterwegs auf Bitumenstellen fest, aber ohne Vertrauensverlust. Es rutscht ein wenig, wirklich nur ein wenig und geht dann auch schon wieder wie gewohnt weiter. Ob dabei die Traction Controll eingegriffen hat, kann ich nicht sagen, da mein Blick nicht aufs Armaturenbrett sondern weit voraus auf den nächsten Streckenabschnitt gerichtet war. Das ist herrlich. Langsam nehmen also Geschwindigkeit und Schräglage zu und das Vertrauen wächst kontinuierlich weiter. Es ist ein toller Tag, es ist ein Erlebnis dieses Krad zu fahren und alle Vorbehalte, die ich habe und die durch Foren, die Presse  oder die Newsgroup drm geistern - naja fast alle - werden für mich persönlich zunächst einmal entkräftet.

Da wäre die Sitzposition. Diese hatte ich persönlich als ein mögliches K.O.-Kriterium betrachtet, da sie typgerecht schon recht sportlich ambitioniert ist und eine versammelte Haltung vom Fahrer erwartet. Meine Befürchtung war, dass meine Knie die Haltung nicht allzu lange zulassen würden, aber das stellte sich als Irrglaube heraus. Ich weiß wirklich nicht, wie es möglich ist, aber auf der Fazer, in einer ja als touristisch entspannt zu bezeichnenden Sitzposition tendieren meine Knie nach ca. 2 Stunden dazu zu schmerzen, so dass ich die Beine einmal ausstrecken muss, auf der RR fahre ich 4 Stunden am Stück und spüre davon nichts, rein gar nichts.

Vibrationen, ja davon liest man auch immer mal wieder, Vibrationen schenkt sie dir auf jeden Fall. Ich habe von Leuten gelesen, die schrieben, ihnen seien durch die Vibrationen die Hände eingeschlafen. Das kann ich nicht bestätigen, aber meine Füße tendieren irgendwann dazu, wenn ich – wie ich es bevorzuge, nur den Fußballen auf der Raste habe. Wenn ich zwischendurch mal den Fuß etwas vorschiebe entspannt sich das wieder.

Schmerzende Handgelenke. Auch davon ist überall zu lesen und so gibt es ja auch schon mehrere Anbieter, die mit teils komplett verstellbaren Lenkerstummeln genau das beheben wollen. Nun, es liegt natürlich ein nicht zu vernachlässigender Teil des Körpergewichtes auf den Handgelenken. Das macht sich aber bei mir nur so lange bemerkbar, wie die Geschwindigkeit deutlich unter 100 km/h liegt. Bei Geschwindigkeiten jenseits der 100 km/h, bekomme ich so viel Auftrieb unter den Oberkörper, dass die Handgelenke zusehends entlastet werden.

Wo wir gerade beim Lenker sind, der Gasgriff sei schwergängig, war auch zu lesen. Auch dies kann ich für die mir überlassene Maschine nicht bestätigen. Er ließ sich über den gesamtene Regelereich und auch aus der Nullstellung heraus bequem betätigen. Was mich ein wenig stört ist dass er anfangs etwas viel Spiel hat bis zur Gasannahme. Das ist aber weiter kein Problem, da mit etwas Gefühl in der Gashand eine passende Dosierung problemlos möglich ist, da der Motor aus der Nullstellung heraus weich ans Gas geht, wenn man nicht gleich grobmotorisch aufreisst. Da die Fazer eine recht ruppige Gasannahme aus der Nullstellung heraus hat, habe ich mir ohnehin angewöhnt, in Kurven mit leicht anliegendem Gas hineinzugehen, um dann ohne schlagartigen Leistungseinsatz herausbeschleunigen zu können. Mit der BMW ginge es aber auch ganz ohne diese Technik.

Der Quickshifter, der das Heraufschalten ohne Kuppeln und Gaswegnahme ermöglicht steht hier und da auch in der Kritik. Es ist zu lesen, dass er schwergängig sei und bisweilen etwas unwillig arbeite. Das kann ich nicht bestätigen. Die Schaltwege sind kurz, sauber, knackig und der Gang ist jedes mal quasi verzögerungsfrei drin, so dass die RR turbinenartig vorwärts zieht. Alleine im unteren Drehzahlbereich ist er etwas störrisch, aber hey, wenn ich spazieren fahre brauche ich den Quickshifter auch nicht sondern dann, wenn ich ordentlich Druck machen will. Der erste Gang lässt sich in der Tat mit dem bekannten deutlich vernehmbaren „Klack“ einlegen, das Geräusch ist aber auch nicht lauter als das, das ich von den Yamahas kenne, einzig Honda ist da vergleichsweise geräuscharm. Die Schalterei insgesamt geht sauber und sehr exakt von statten, egal ob unter Verwendung des Quickshifters oder mittels manueller Kupplungsbetätigung, frei von Geräuschen und besonderen Widerständen, auch ist es kein Problem, z.B. beim Anrollen einer Ampel aus dem 4. in den 1. zu schalten oder aus beliebiger Position exakt den Leerlauf zu finden. 

Die serienmäßige Scheibe steht auch hier und da in der Kritik. Zu meiner Größe scheint sie jedoch gut zu passen. Die Verwirbelungen im Helmbereich sind witzigerweise geringer als auf der Fazer, wo bei Geschwindigkeiten jenseits der 200 km/h mein Kopf immer munter ins Flattern gerät, was die Nackenmuskulatur auf längeren Strecken ordentlich malträtiert. Auf der RR liegt der Helm viel besser im Windstrom und das Flattern in Verwirbelungen ist praktisch gleich Null. Es kann natürlich sein, dass das bei dauerhafter Highspeedhatz, jenseits der 250 km/h-Marke oder mit einem anderen Helm wieder anders aussieht. Da solche Speed-Orgien in meinem Alltag derzeit jedoch eher seltenerer Natur sind, braucht es für mich erst einmal keine höhere Bubble-Scheibe. 

 Plastischer Chirurg gesucht, der das Dauergrinsen entfernt!

Ansonsten ist technisch nach diesem Testtag aus meiner Sicht nichts zu bemängeln, wenn man davon absieht, dass ein paar der Plastikteile einen, für ein Motorrad dieser Preiskategorie, etwas billigen Eindruck hinterlassen. Das sind z.B. die beiden Abdeckungen links und rechts neben dem Tank, die ich persönlich aber sowieso irgendwann durch Carbonteile ersetzen würde. Die Stopper sind einfach genial und zwei Finger reichten mir am Testtag für alle Situationen vollkommen aus, allerdings gab es auch ausnahmsweise mal keine einzige brenzlige Situation, da sehr wenig Cage drivers unterwegs waren.
Emotional gesprochen kann, darf und muss ich sagen: WOW, WOW, WOW, ist das eine geile Konstruktion. Ich kann das gar nicht richtig in Worte fassen: du setzt dich drauf fährst los und bist einfach nur begeistert, alles stimmt. Du fühlst dich gleich zu Hause, alles ist im Lot, alles ist so vertrauenseinflössend. Das gefällt mir. Samstag Morgen mussten wir uns dann der grausamen Realität stellen und die Moppeds zurück zum Händler bringen. Jetzt erwarten wir sein Angebot und dann schauen wir mal. Für uns beide steht fest, wenn das Angebot passt, dann müssen diese Moppeds her.

Ciao
Georg

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen